ROLF-GUNTER DIENST

ÜBER DAS SCHREIBEN UND DAS SEHEN

23.06.2012 - 05.08.2012

Anlässlich des 70. Geburtstags des Künstlers und Kritikers Rolf-Gunter Dienst (*1942) präsentieren die KUNSTSAELE Berlin eine Einzelausstellung mit ausgewählten Werken aus der Sammlung Bergmeier.

Lange hat sich Rolf-Gunter Dienst gefragt, ob er malen oder schreiben solle.  
Betrachtet man sowohl seine Texte als auch seine Bilder, verbinden sich beide Schaffensfelder zu einem. 1960 bist 1965 gab er gemeinsam mit seinem Bruder die Kunst- und Literaturzeitschrift Rhinozeros heraus, ab 1964 war er als Redakteur des Magazins Kunstwerk tätig. Seit 1991 hat sich Dienst vorwiegend der bildenden Kunst gewidmet und hatte bis 2008 eine Professur an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg inne. In seinen Malereien ist jedoch eine künstlerische Strategie zu erkennen, in der Poesie, Malerei, Schrift und Zeichnung zueinander finden und eins werden. 

Farben und Schrift werden in Rolf-Gunter Diensts Acryl-Malereien in Beziehung zu sich selbst und zueinander gesetzt. Linien, Blöcke und Quadrate aus satten Farben lassen pulsierende Kontraste entstehen. In monochrom erscheinenden Farblandschaften sind feine Nuancen und minimal variierende Intensitäten von Licht und Farbe zu erkennen, die im Verhältnis von Fläche zu Kürzeln entstehen. Der Betrachter erfährt eine intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Empfindungen: Die Wahrnehmung von Farben, die durch Licht hervorgerufen wird, ist von der physischen Beschaffenheit der Augen und des gesamten Wahrnehmungsapparates abhängig und somit individuell unterschiedlich. Sehr treffend beschreibt der Kunsthistoriker Gottfried Boehm die Erfahrung von Diensts Malerei als “Modulation des Lichts”. 

Während der Blick aus der Ferne regelrecht im Bild versinkt, von der reinen Farbigkeit aufgesogen wird, kehrt sich dieser Effekt bei der Nahbetrachtung um: Jetzt erst sind die feinen, kalligraphischen Zeichen, die sogenannten Kürzel zu erkennen, die sich durch das gesamte Bild ziehen und diesem erst seine Struktur und Rhythmisierung verleihen. Der Blick wird langsamer, will und soll nun lesen, studieren, die Zeichen verfolgen. 
Hier wird die strenge Methodik, der reine Strukturalismus deutlich, der Rolf-Gunter Diensts Bildern unterliegt. Farben bestehen nicht nur aus ihrer Farbigkeit, sondern basieren ebenso auf der Aneinanderreihung von Zeichen, die zeilenhaft erfolgt. Farbe und Schrift verlieren ihren elitären Status und werden deckungsgleich, untrennbar. So unterliegt auch das Abtasten des Auges einer anderen Ordnung. In Rolf-Gunter Diensts Bildern darf und soll der Betrachter den Zeichen nach Belieben folgen, sie diagonal,von oben oder von unten lesen. Die Schrift als Bild und das Bild als Schrift erstrecken sich in alle Richtungen.

Ist die Bildherstellung bei Rolf-Gunter Dienst ein Schreiben mit dem Pinsel, bleibt er auch in seinen Zeichnungen ein Maler. Die Zeichen seiner Zeichnungen, die Würmer und Amöben, sind wiederum kleine einzelne Zeichnungen, die sich vom Gewimmel zu Wellen, Wolken und explodierenden Feuerwerkskörpern formen.

Rolf-Gunter Dienst tritt in einen Dialog zu Werken aus Lyrik, Literatur und Malerei. Er sucht den Diskurs mit den malenden Kollegen, wie in den hier gezeigten Arbeiten zu Agnes Martin und Gerhard Hoehme.
Schriften von Ezra Pound, Herman Melville und Arthur Rimbaud überträgt der Maler ins Bild. Der in der Ausstellung gezeigte, 5-teilige Entwurf zu Les Voyelles von 2006 basiert auf dem Sonett Voyelles (zu Deutsch: Vokale) von Arthur Rimbaud. In dem Klanggedicht von 1872 ordnet der französische Dichter den Vokalen Farben zu: “A schwarz E weiß I rot U grün O blau – vokale / Einst werd ich euren dunklen ursprung offenbaren”. Dienst übernimmt die von Rimbaud vorgegebene Reihenfolge und übersetzt das Gedicht auf seine Art in einen wahren Farbakkord, der Klang und Rhythmus der Poesie spürbar macht. Auf Grund des großen Formats erschließt sich die Arbeit in ihrer Gesamtheit nicht auf einen Blick. Erneut ist es der Wechsel von Nah- und Fernbetrachtung, der ein Erkennen des Klangs ermöglicht, der sich zum einen aus der Reihung der einzelnen Farben und zum anderen aus den winzigen Chiffre-Zeichen ergibt, die ihrerseits die Farbfelder strukturieren.

---